Donnerstag, 11. März 2010

Date 8

Ich habe hin und her überlegt, ob die folgende Geschichte erzählt werden kann. Und letzten Endes habe ich mich dafür entschieden, denn das ist meine allererste erste-Date-Story, die im Internet begann.

Und so fing alles an:

Ich hatte mich gerade in einem sogenannten social-network angemeldet. Das Konzept weckte meine Neugierde: Leute mit konkreten Interessen lernen Leute mit ähnlichen Interessen kennen. Ich war ziemlich unerfahren, was diese Netzwerke betraf, mein virtuelles Leben begann ja gerade erst. Diese Plattform war relativ neu und so sah ich in der online-Liste fortwährend die gleichen Gesichter.

Eines der Bilder stach mir sofort ins Auge: ein schwarz-weiß Foto mit einem arrogant und unnahbar wirkenden Typen. Mein Interesse war geweckt, aber ich traute mich natürlich nicht, ihn anzuschreiben. Doch egal, wann ich mich einloggte und egal, wie lange ich blieb, dieser Typ war immer da! Ich nahm sein Profil etwas näher unter die Lupe. Kucken ist ja schließlich nicht verboten. Und beim dritten, vierten Lesen des Profilspruchs bemerkte ich, dass an seinem Text irgend etwas falsch war: Nicht kucken, nur Anfassen. Ich schmunzelte und befand, dass er vielleicht ganz witzig sein musste, wenn er sich so einen Spruch einfallen ließ. Das schrieb ich ihm ins Gästebuch und tatsächlich erhielt ich kurz darauf eine Nachricht, in der er fragte: Lachst du immer noch?

Das Eis war gebrochen, wir kamen ins Gespräch. Schon am ersten Abend erfolgte ein ausführlicher Schriftwechsel. Teils lustig, teils sehr ernst. Das imponierte mir sehr, doch zugeben wollte ich das natürlich nicht. Von nun an setzten sich die Wortduelle stetig fort. Ich erfuhr eine Menge von ihm, gab ihm im Gegenzug bereitwillig über mich und mein Leben Auskunft. Virtuellen Annäherungsversuchen wich ich geschickt aus und so nannte er mich bald seine "kleine unverbindliche Freundin". Das gefiel mir. Sehr sogar. Aber steckte ich doch noch in einer Beziehung! Ich wollte mich auf nichts einlassen. Nur ein bissel Ablenkung von der Tristesse des Alltags erleben. Abschalten und klar; nette Leute kennen lernen.

Irgendwann gab ich ihm die Erlaubnis mich anzurufen. Das Telefon klingelte, ich nahm ab und war schockiert: Er wohnte doch in Kiel. Wie bitte schön konnte er bayrisch klingen?!? Aber diese Stimme! Tief und männlich. Wow. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich wollte ewig mit ihm reden. Aber das ging natürlich nicht.

Wir entdeckten bald den Chat für uns. Wir mailten, telefonierten, schrieben sms, chatteten, schickten Fotos hin und her. Der google-videochat war damals noch nicht erfunden, sonst wäre das wohl auch noch eine Alternative gewesen.

Ich war neugierig. Wollte ihn treffen. Und doch wieder nicht. Innerlich war ich im völligen Zwiespalt, wusste, dass ich mich solange das Eine nicht geklärt wäre, nicht auf etwas Neues einlassen konnte. Aber dieser Mann sah nicht nur unverschämt gut aus, er wusste genau, wie ich tickte, konnte jeden meiner Eindrücke und Gefühle nachvollziehen, fand immer die richtigen Worte und zwar genau im richtigen Moment. Ich hatte so etwas noch nie erlebt.

Ich trennte mich von meinem Partner. Und kurz darauf teilte ich ihm, dieser absolut irrealen Internetgestalt mit, dass ich am nächsten Tag zu ihm kommen würde. Es lagen ja nur schlappe 450 km zwischen uns.

Er war genauso schockiert von meiner Spontanietät wie ich selbst und doch sagte er zu. Am nächsten Morgen saß ich im Zug. Mit dem Auto hätte ich unter diesen Umständen keinesfalls fahren können. Ich war viel zu aufgeregt. Mir war schlecht. Ich konnte nichts essen und überlegte mir an jedem Bahnhof, ob ich nicht doch besser aussteigen und umkehren sollte. Was machte ich da eigentlich?

Ich stieg nicht aus. Ich fuhr bis zum Kieler Hauptbahnhof und rechnete fast damit, dass er nicht da sein würde. Ich hatte mir nichts zurecht gelegt, war ohne Plan einfach losgefahren, wusste absolut nicht, was mich erwarten würde. Ich war praktisch jungfräulich, was diese Art Dates betraf. Niemand wusste genau wo ich war. Aber das war mir in dem Moment total egal. Das spielte keine Rolle. Nein; ich verschwendete einfach keinen Gedanken daran.

Endlich, endlich hatte ich meinen Zielort erreicht. Ich stieg aus und er stand mit dem Rücken zu mir, so dass ich ihn nicht sofort erkannte. Doch dann drehte er sich um, kam auf mich zu und als wir uns begrüßten, wäre ich am liebsten ohnmächtig geworden, so überwältigt und überfordert war ich von dem, was ich gerade erlebte. Ein Traumprinz! Der Mann, auf den ich all die Jahre gewartet hatte, ohne davon konkret zu wissen. Jetzt war mir erst recht alles egal. Es zählte nur der Moment. Ich könnte nicht mehr den genauen Wortlaut unseres Gesprächs wiedergeben, sehe aber den Weg, den wir gemeinsam liefen, wie selbstverständlich Hand in Hand, als wäre es gestern gewesen, noch genau vor mir.

Wir gingen zu ihm. Das war mir nur recht. Ich hätte ihn in der kurzen Zeit, die wir gemeinsam verbringen würden, äußerst ungern mit anderen Menschen geteilt. Ein Café oder ähnliches kam also eigentlich gar nicht in Frage.

Wir hatten uns oft ausgemalt, wie ein erstes Date aussehen könnte. Doch als er Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen ließ, wurden meine kühnsten Vorstellungen und Erwartungen bei weitem übertroffen. Was folgte, war nicht einfach nur Sex; wir fielen übereinander her, wie eine Horde Hungriger in der Wüste, die seit Wochen nichts zu essen bekommen hat. Das erschien mir völlig richtig und ich dachte keine Sekunde lang darüber nach. Ich ließ es - genau wie er - einfach geschehen. Sog ihn in mir auf. Seinen Geruch, seine Kraft, seine Stärke. Einfach alles.

Die Zeit verging viel zu schnell. Gegen drei musste ich am Bahnhof sein, um wieder nach Hause zu fahren. Er begleitete mich dorthin. Eng umschlungen, seinen Arm beschützerisch um meine Schulter gelegt, liefen wir schweigsam den selben Weg, den wir erst wenige Stunden zuvor schon einmal gegangen waren. Es fühlte sich so gut an. ER fühlte sich gut an. Ich war völlig hin und weg. Nun verstand ich zum allerersten Mal den Begriff: himmelhochjauchzendzutodebetrübt. Genau so fühlte ich mich jetzt. Einerseits schwebte ich auf Wolke 7 - nein: ich himmelte ihn an! Er war der Traummann schlechthin. Andererseits war ich bedrückt, weil ich vermutete, dass wir uns nie wieder sehen würden. Wie auch? Die Umstände waren äußerst ungünstig und außerdem waren wir fast sofort in der Kiste gelandet. Das kann ja niemals gut gehen. Aber wie konnte etwas, dass sich soooo gut anfühlte, falsch sein?

Die Stimmung war betrübt. Wir küssten uns zum Abschied heiß und innig. Und hielten uns fest. So fest, als müssten wir uns gegenseitig stützen. Ich war wie in Trance, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles schien wie in Watte gepackt und ganz weit weg. Selbst Geräusche um mich herum nahm ich nur noch gedämpft war. Erst als ich allein im Zug saß, fand ich langsam zu mir selbst zurück.

Meine Zweifel, ob er sich noch mal bei mir melden würde, lösten sich in Luft auf, noch bevor ich den Hamburger Bahnhof erreichte, an dem ich umsteigen musste, denn endlich erhielt ich eine sms von ihm und schon sechs Tage später sahen wir uns wieder.

Fortan führten wir eine 14-monatige, stürmische, leidenschaftliche, intensive, innige, harmonische, aufregende, überwältigende (Fern)Beziehung, die es so unmöglich ein zweites Mal geben könnte. 

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