Mittwoch, 19. Januar 2011

Alt wie ein Strauch

Früher hab ich mich immer gewundert. Also darüber, dass alte Leute - Greise sozusagen - sich an Dinge erinnern, die so weit zurück liegen, dass man die Zeit in Jahrzehnten zurück rechnet. Ich fand das irgendwie seltsam, dass der Wohnungsschlüssel wie immer im Schloss steckte, ward vergessen, aber welche Namen eine Straße bereits hatte und wie der Nachbarsjunge hieß, der immer so lustige Streiche spielte, war präsent und jederzeit abrufbar im runzligen Hirn der altersmäßig weit voran geschrittenen Verwandten. Und wenn ich jederzeit sagte, dann meinte ich das eben auch. Wieder und wieder Anekdoten von damals.

Tja, was soll ich sagen? So manches Mal hab ich mich auch schon dabei ertappt, alte Erinnerungen hervor zu kramen und je weiter sie zurück liegen, desto vehementer schieben sich immer größere Bruchstücke meiner Vergangenheit in den Vordergrund. Pfui! Was soll das? Wen interessierts bitteschön, wie der allererste Sitznachbar in der ersten Klasse hieß und dass er augenscheinlich ein akutes rhinitisches Problem hatte, Tempotaschentücher aber chronisch Mangelware im heimischen Konsum war? Eben.

Aber eine Geschichte fiel mir gestern grad ein: Vor etlichen Jahren hatte ich akutes Magenproblem. Ständige Magenschmerzen, die sich ausschließlich durch sofortige Nahrungszufuhr lindern ließen, machten eine kamerageführte Begutachtung unumgänglich. Leichtgläubig also und ohne genau zu ahnen, was da auf mich zukommen würde, begab ich mich zum Internisten mit dem entsprechendem Handwerkszeug und auweia: wenn ich mich daran erinnere, kommts mir buchstäblich gleich wieder hoch. Der Arzt sah nett aus. Ganz normal, wie ich mich erinnere.

Er hielt vor dem Einführen des elastischen Schlauchs belanglose Konversation. Stück für Stück rammte er dieses widerliche Ding tiefer in den Hals hinein. Und mit jedem weiteren Stoß ließ er ein Stück von seiner Maske fallen. Bald war nichts weiter übrig als ein fürchterliches Grinsen, welches von den Worten: "Ich liebe diesen Job. Ich kann Frauen dazu zwingen, endlich mal die Klappe zu halten" begleitet wurde. Wow was war das?? Selbst ohne dieses Gummiteil, welches jeglichen Versuch der Artikulation komplett verhinderte, hätten mir in diesem Moment einfach die Worte gefehlt.

Mit Anfang zwanzig war ich mir keineswegs bewusst, dass der ausgesprochene Groll sich nicht gegen mich richtete, sondern vermutlich eine traurige Vorgeschichte hatte, in der Schlagworte wie Trennung, Ex, Betrug, Drachen etc. sicherlich eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Und wäre ich nicht so blauäugig und unbedarft in die freundlich-helle Praxis spaziert, hätte ich vorher gewusst, dass ein Narkotisieren der später stark beanspruchten Körperöffnung durchaus denkbar gewesen wäre und ein voll biegsamer Gummischlauch auch in kleinerer Größe als Traktorreifen vorrätig in einer gut sortierten Praxis sein sollte.

Naja, was solls. Ob der immer noch Single ist?

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