Donnerstag, 6. Mai 2010

Eine Gretchenfrage?

Wenn ich nun behaupte, dass ich mich momentan mit klassischer Literatur beschäftige, weil sie mich interessiert, ist das genauso zutreffend wie die Tatsache, dass ich mit geistiger Überlegenheit anderer zwar durchaus umgehen kann, dies bei meinem Nachwuchs, der gerade zum ersten Mal genullt hat, aber noch so lange wie möglich hinaus zögern will.

Lange (Vor)Rede, kurzer Sinn: Auszugsweise las ich kürzlich Goethes Faust I und komm zu dem Schluss: H. Faust war ein ziemlicher Arsch! Harte Worte? Aber nicht unbegründet. Da kam es soweit, dass er, alternder Lüstling, das bislang brave, unbedarfte Gretchen anvisierte, ja sie rumkriegen wollte! Gretchen, blutjung und aus ärmlichen Verhältnissen stammend, wehrte zunächst jegliche Annäherungsversuche erfolgreich ab. Doch war sie angetan von dem großen, gebildeten Mann, der wusste, was er wollte. Sie.

Die Versuche, ihn zurück zu weisen, wurden immer halbherziger, bis sie eines Tages ihre berühmte Gretchenfrage stellte, welche frei interpretiert soviel bedeutete wie "Wirst du zu mir stehen, mich versorgen, dich um mich kümmern, wenn ich die Frucht deiner Lenden unter meinem Herzen trage?" Unglücklicherweise aber verstand sie aufgrund ihres niedrigen Bildungsgrades und seiner trefflich irreführenden, aber nicht unwahren Worte, nicht, was er ihr absichtlich nicht unter die Nase reiben wollte, gab schließlich nach und sie das taten, was Mann und Frau eben manchmal tun.

Aber wie sollte es anders sein: Er hatte bekommen was er wollte, der Reiz des Unerreichbaren war verflogen und ebenso schnell verschwand er  wieder aus ihrem Leben und überließ sie ihrem Schicksal, welches in einer Tragödie endete.

Die Geschichte ist uralt, beruht gar auf einer wahren Begebenheit, welche Goethe einst in jungen Jahren während seiner Tätigkeit als Jurastudent im Gerichtssaal verfolgte. Doch das Thema ist noch heute aktuell. Er nutzte ihre Naivität und Unwissenheit schamlos aus, sie stürzte sich ins Verderben, eingewickelt vom Charme und Interesse seinerseits. Gibt es heute nicht mehr? - Gibt es wohl. Schon nur allein die Tatsache, anzunehmen, Willigkeit und Gefügigkeit könne einen Mann fest binden, lässt diesen Schluss zu.

...Und dabei wollte ich eigentlich nur den Osterspaziergang lesen.

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